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BERLIN  FLUCHT

Münchener Schriftsteller flüchten nach Berlin

Wie aus gut unterrichteter Quelle zu erfahren ist, gibt es praktisch keine Münchener Schriftsteller mehr. Sie sind alle nach Berlin gezogen. Die wenigen, die noch da sind, sitzen schon auf ihren Koffern, haben das Telefon bereits abgemeldet. Wie konnte das passieren? 

Maxim Biller, den man allerdings nicht wirklich zu halten versuchte, ließ wissen, er könne sich München einfach nicht mehr leisten, Mietpreise, Lebenshaltungskosten etc... Ein doch sehr larmoyantes Argument, weil es einem Schriftsteller, wie wir alle wissen, niemals ums Geld gehen darf. Geld ist ja auch im Münchener Literaturhaus kein Thema. Ein Haus für Autoren sollte es werden, und in der Tat: Im Café Dukkatz gibt es ein halbes Hendl mit Bratkartoffeln für preiswerte 28 Mark 50. Da stellt man sich doch gerne an. Man muss aber früh dran sein, da die Rechtsanwälte und Bänker rund um den Salvatorplatz ein günstiges Schmankerl ebenfalls nicht verschmähen, und die säulenhafte Architektur zu schätzen wissen.

Zäumen wir das Pferd von vorne auf: was hat diese Stadt im Vergleich mit Berlin zu bieten? Wir haben zum Beispiel 19 Lokale, liebe Berlinerinnen und Berliner, die rund um die Uhr geöffnet sind. Fast 20 Lokale also, in denen man ein Problem zuende denken kann, während in Berlin an allen Fronten das Geld ausgeht. Uns, liebe Berlinerinnen und Berliner, geht das Geld nicht aus. Wir haben nämlich auch die gnadenlosesten Polites-sen, die uns dieses Jahr 13,78 Millionen Mark einbringen wer-den. Und dann haben wir natürlich unser 5-Sekunden-Besenkammer-Bobbele, von dem die Münchener Steuerfahndung 25 Millionen Mark fordert. Und natürlich kriegen wird. Das sind zusammengerechnet und großzügig durch 28 Mark 50 dividiert alleine über 1,3 Millio-nen Hendl im Münchener Literaturhaus. Verhungern muss hier also keiner.

Gut, wir werden den stets vorbildlich geföhnten Ministerpräsidenten Edmund Stoiber verlieren. Auch er wird nach Berlin gehen, um den Bundesrepublikanischen Saustall auszumisten. Dafür bleibt uns der manisch unaufgeregte, sozialdemokratische Kabarretist Christian Ude, der gelegentlich auch das Amt des Oberbürgermeisters in dieser Stadt ausübt. Die Wies`n zapft er linkshändig an, aber der Bayerische Rundfunk hat das bereits assimiliert. Die Kameras stehen jetzt eben links, so einfach geht das bei uns. Kulturminister Julian Nida-Rümelin, auch berlinflüchtig, ließ sich kürzlich sogar von Ude trauen, was einerseits erneut die Flexibilität unseres Oberbürgermeisters bestätigt, andererseits die ehemals so florierende Literaturszene dieser Stadt weiter ausdünnt. Schließlich ehelichte Nida-Rümelin eine besondere Begabung, Nathalie Weidenfels. Unser aller Hoffnung für die junge deutschsprachige Gegenwartsliteratur. München verliert also auch diese Autorin nach Berlin. 

Dabei ist so vieles in München möglich. Heiner Lauterbach zum Beispiel heiratet in den hei-ligsten Räumlichkeiten der Bayerischen Staatsbibliothek, welche sich über die ungeheure Aufwertung aufrichtig freut. Und 30.000 Mark Tagesmiete (1052 Hendl) einsackt. Homoehen wird es zwar in München so schnell nicht geben, weil die CSU hier immer noch für den Schutz der Familie ist, dafür diskutieren wir aber immerhin ein Grillverbot für den Westpark. Ausschlieslich für unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger natürlich. 
Erstaunlich auch, dass es der Stadt München seit Jahren zuverlässig gelingt, unserem Lyrik-Kabinett vernünftige Räumlichkeiten zu verweigern. Die größte Lyriksammlung im deutschsprachigen Raum (19000 Bände) in drei Zimmerchen der Uni unterzubringen, liebe Berlinerinnen und Berliner, das ist nur in München möglich. 

Am Fußball, bekannterweise das Steckenpferd jedes Schriftstel-lers, kann es eigentlich auch nicht liegen. Schließlich haben wir den Kaiser. Franz Beckenbauer. Die Lichtgestalt, die unser Olympiastadium zugunsten einer neuen Arena für den F.C. Bayern einfach einstampfen lassen wollte. Ich glaube nicht, dass es in Berlin ein derart interessantes Geschichtsverständnis gibt. Auch Bratwurstkönig Uli Hoeneß, der, wenn es pressiert, wie wir uns hier auszudrücken pflegen, schon mal einen Stadtrat an die Wand klatschen möchte, wirkt in München. Und Werner Lorant, ebenfalls ein Freund der Föhnfrisur, spricht uns schließlich aus der Seele, wenn er seinen Spielern rät, was auch uns Literaten oberstes Gesetz zu sein hat: „Klappe halten, weiterspielen!“ 

Vor soviel Erkenntnisgewinn muss man doch auf die Knie gehen. Da kann man doch nicht einfach nach Berlin gehen. Ich werde jedenfalls dableiben. 

   Heiner Link

Erschien am Donnerstag, den 02.08.01 in der Müchener Abendzeitung.

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